Lärm ist die Symphonie der groben Masse, die Fanfare gewöhnlicher Menschen in modernen Gesellschaften, das freimütige Bekenntnis und Erkennungszeichen: Hört her, ich bin so roh wie Ihr! Dabei ist Lärm nicht nur eine notwendige, gleichwohl ungewollte Nebenwirkung anderer Phänomene des Überflusses, etwa von Motoren oder Waffen; vielmehr macht seine narkotisierende Wirkung den Lärm für hohle Köpfe zu einem begehrten Surrogat des Geistes. Lärm ist akustisches Silikon für die Leerräume in so zahlreichen Köpfen.
Hiervon verschieden sind jene Geräusche, die unvermeidlich sind; sie entsprechen den Bedürfnissen. Insbesondere zählen hierzu die Geräusche der Natur: das Rauschen des Windes, das Plätschern des Wassers, der Ruf eines Vogels, das Knirschen des Schnees unter den Füßen des Wanderers, das Knistern des Feuers usw. Allen diesen Geräuschen gemein ist ihr Wohlklang, weshalb sie nie stören.
Von anderer Art ist der Lärm; er bezeichnet alle Geräusche, die vermeidbar sind. Sie entsprechen dem Verlangen, also dem Begehren über die Befriedigung der Bedürfnisse hinaus. Demgemäß ist Lärm zumeist die Begleitmusik der Automatisierung und Elektrifizierung, welche das Verlangen ins Maßlose gesteigert haben und umgekehrt. Der Erfindungsreichtum scheint keine Grenzen zu kennen und hat unzählige Maschinen geschaffen, die einen stumpfen Tropf begeistern und die edlen Ohren der vorzüglichen Individuen quälen: das Automobil, Lautsprecher, Staubsauger und Laubpuster, Kettensägen und elektrische Rasenmäher, Preßlufthämmer, Rasentrimmer, Bohrmaschinen, Generatoren, usw. Der Lärm entspringt der Natur des schlichten Menschen, er ist sein Lebenszeichen; wenn er sonst nichts hat oder kann, was ihm die Aufmerksamkeit anderer Menschen verschafft, dann macht er eben Krach.
Dagegen ist der Geist geräuschlos. Er ist seine eigene Begleitmusik. Daher: Wo viel Geist ist, da ist wenig Lärm; weshalb umgekehrt, wo viel Lärm ist, nur wenig Geist sein kann. Dem Lärm sehr ähnlich ist das künstliche Licht jeder Art. Während ein großer Geist hinreichend den Kopf erhellt, den er bewohnt, versuchen primitive Köpfe vergeblich die Dunkelheit in ihrer Gedankenwelt durch allerlei Beleuchtung zu kaschieren. Und so blitzt, blinkt und strahlt es an jeder Ecke, damit bloß keiner merke, daß da sonst nichts ist, was ihre Köpfe erhellt. Der rechte Ort für sie ist daher der Rummelplatz, an dem es schäppert und blinkt, laut und grell, dort sollten sie unter sich bleiben und den Weisen die Welt überlassen; stattdessen jedoch, da ihrer so viele sind, machen sie die Welt zu einem Rummelplatz.
Ende
"Gewöhnlich glaubt der Mensch, wenn er nur Worte hört, es müsse sich dabei doch auch was denken lassen." Johann Wolfgang Goethe
Zwar ist die Tat die Vollendung des Wortes und daher nicht gering zu schätzen; auch sollten wir Skepsis und Vorsicht walten lassen vor dem, dessen Hand seine Zunge widerlegt. Jedoch ist, wenn wir zwischen beiden uns zu entscheiden und uns auf eine Anstrengung festzulegen haben, stets das Wort der Tat vorzuziehen.
Auf der Bühne der Gegenwart verblaßt der Denker vor dem Edelmütigen, da die Tat im Vergleich stets spektakulärer ausfällt als das Wort. Das ist aber lediglich die Wirkung des Moments. Die Tat wirkt nur für die Mitwelt, und zumeist nur für jene, die am Ort ihre Zeugen sind; im nächsten Moment ist sie bereits Vergangenheit, vorbei und oft schon vergessen. Selbst wenn wir die Folgen und Folgesfolgen einer Tat betrachten, die ohne diese nicht möglich wären, so ist bei ihnen bereits zu bedenken, daß die eine Tat nicht der alleinige Einfluß auf sie ist, und dieses im weiteren Verlauf auch nicht ewig. Wenngleich spätere Generationen, selbst Jahrhunderte danach, eine frühere Tat vielleicht noch erinnern oder gar rühmend ihr Herz an ihr wärmen, so ist diese Tat doch längst vergangen; sie wirkt nicht mehr unmittelbar, ja sie wirkt nicht einmal selbst, sondern nur tradierte, oft mit Fiktion vermischte Berichte über sie.
Ganz anders das Wort. Es richtet sich nicht an die Mitwelt (und wo doch, dort ist es nicht mehr als eine gesprochene oder geschriebene Tat, der sprichwörtlichen Rede zumeist nicht wert wie etwa der Zeitungskommentar, dessen ephemere Wirkung sich schon tags darauf verflüchtigt). Das Wort des Denkers richtet sich an die gesamte Menschheit, von der die Mitwelt nur ein Bruchteil ist, also an alle Menschen heute und in Zukunft, im Besonderen in der Zukunft. Denn was für wahr erkannt wurde, wird ewig gültig bleiben. Der entscheidende Unterschied zur Tat ist nun der, daß der Denker stets unmittelbar wirkt. Er spricht auch Jahrhunderte, gar Jahrtausende nach seinem Tod unmittelbar zu seinem Leser. Doch nicht nur diesen Vorteil hat das geschriebene Wort. Es ist reiner als die Rede, wie Arthur Schopenhauer treffend zusammenfaßte: „der schriftliche Vortrag ist ein wesentlich anderer, als der mündliche; indem er allein die höchste Präcision, Koncision und prägnante Kürze zuläßt, folglich zum reinen Ektypos [Nachbild] des Gedankens wird.“ (Schopenhauer, Parerga und Paralipomena, Band I, § 3. Sokrates, nach: 2. Auflage, hg. v. Julius Frauenstädt, Berlin (1862)
Da hier das geschriebene Wort gefeiert und seine Zeiten überdauernde, unmittelbare Wirksamkeit gerühmt wird, ist umso deutlicher vor der Illusion zu warnen, daß das Wort ebenso mächtig sei. Das Dilemma des Wortes ist seine Ohnmacht. Nur selten berührt das Wort nachhaltig den Willen eines Einzelnen, geschweige der Gruppe oder gar der Menschheit. Das hieße, den Gesetzen der Natur zu widersprechen, und kein Argument wird jemals einen Tropfen dazu bringen, den Wasserfall hinauf- statt hinabzustürzen. Der Intellekt mag eine Erkenntnis wohl erwogen und als richtig erkannt haben – die letzte Prüfung vollziehen allein der Charakter und das Interesse des Lesers, welche dem Willen unmittelbar entspringen und entscheiden, ob eine Wahrheit auch anerkannt wird. Hier wird die Erkenntnis von der Einsicht durch eine scharfe Kante geschieden.
Diese ernüchternde Erkenntnis frustriert seit jeher die Autoren und Anhänger der Weltverbesserer-Literatur, von der ich beispielhaft „Der kleine Prinz“ von Antoine de Saint-Exupéry erwähnen will. Obwohl dieses Werk von faszinierender Einfachheit und Klarheit ist, obwohl es als eines der erfolgreichsten Werke der Weltliteratur zig Millionen Male in fast allen Sprachen dieser Welt verkauft und gelesen worden ist, obwohl dieses Plädoyer für Phantasie, Liebe und Aufrichtigkeit inzwischen unzählige Millionen Menschen gerührt und belehrt hat, unter ihnen sicher auch spätere Präsidenten oder Könige, so ist die Welt dennoch keinen Deut menschenfreundlicher geworden, bestimmen nicht Liebe, Wahrhaftigkeit, Fürsorge, Toleranz und Rücksicht das Tun der Menschen und den Verkehr zwischen ihnen, sondern Eigennutz, Verlogenheit, Rücksichtslosigkeit, Kampf, Haß und Gleichgültigkeit. „Der kleine Prinz“ ist der traurige Beweis für die Ohnmacht des Wortes, allerdings nur, sofern wir die falsche Erwartung hegen, daß das Wort etwas zu ändern vermag, daß es praktisch wird und zur Tat anleitet. Das Wort ist nicht mehr und nicht weniger als das, was das Eis für die Fische und das Pökelsalz für das Fleisch: Es konserviert die einmal gefundene und ausgesprochene Wahrheit, es hält sie frisch und bewahrt sie für alle Zeit. Dank des Wortes bleibt die Wahrheit der ewige Stachel im Fleisch, das Sand im Getriebe der Welt, die Erkenntnis, die den Gang aller Dinge nie aufhalten wird, ihn jedoch erhellt – wenn auch nur für wenige, für die Besten in jeder Generation. Eine Tat ist stets für den flüchtigen Moment, da der Ausführende sich hier und jetzt über die Folgen seiner Tat vergewissern will, und letztlich oft nur für den Eigennutz; das Wort ist für die Ewigkeit, für alle.
Damit das Wort seine Bestimmung erfüllen kann, muss es konserviert werden, muss es den Weg finden, der zwischen zwei Buchdeckel führt. Auf diesem Weg konkurriert es jedoch mit allerlei heißer Luft, die sich als Wort verkleidet. Im 19. und dann mit ungebremster Wucht im 20. Jahrhundert ist durch die Industrialisierung des Buchdrucks ein Markt entstanden, auf dem Literaturfabriken ihre Waren feilbieten, die ehrlicher in Tonnen als in Titeln zu zählen wären. Einher damit wächst das Heer der Schreiberlinge, die im Akkord Sätze ausspucken. Bald wird es ein Verdienst sein, kein Buch zu schreiben, was dem Wert der meisten Gedanken angemessen wäre.
Die wesentliche Bedeutung des gedruckten Wortes liegt nicht darin, den Mitlebenden kurzlebige Einfälle für den Moment mitzuteilen, sondern sie liegt darin, Einsichten zu konservieren, um sie der Nachwelt und damit der Menschheit zu erhalten. Was keine immerwährende Gültigkeit beanspruchen kann, bliebe besser ungeschrieben oder auf Schmierzettel beschränkt, bevor es der Reißwolf verschluckt. Allenfalls gebührt ihm ein Platz in den Spalten der Tageszeitungen, für die sich morgen kein Mensch mehr interessiert. Das Wort, das echte, aufrichtige, wohl durchdachte und dann erst niedergeschriebene Wort, verdient jedoch Schutz und Förderung.
Ende
Die Texte über Lärm und Worte sind Auszüge aus dem Buch von Axel Schlote: Die universale Urkraft und das moralische Genie. Notate und Komplemente (nicht nur) zur Philosophie von Arthur Schopenhauer, Wissenschaftlicher Verlag Berlin, 2014.
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