“Das Fehlen von Wissenschaft, das heißt Unkenntnis von Ursachen, macht dazu geneigt, sich auf den Rat und die Autorität anderer zu verlassen.” Thoma Hobbes
Das Menschheitsprojekt Aufklärung ruht auf drei Säulen: Dem Weltbild, den Methoden und dem Ethos der Naturwissenschaften, dem säkularen Verständnis von Moral und Gerechtigkeit und dem normativen Individualismus. Letzterer stellt die Person und ihre Rechte als wesentliche normative Einheit den Ansprüchen von Gemeinschaften oder Gruppen wie Volk, Rasse, Nation, Klasse oder Glaubensgemeinschaft entgegen.
Kaum ein Philosoph hat so wertvolle Beiträge zur Aufklärung geleistet wie Thomas Hobbes - und kaum ein Philosoph wird dafür so wenig gewürdigt wie er. Über Hobbes sind alle möglichen Zerrbilder in Umlauf: Ohne einen absolutistisch- autoritären Staat würden wir wie die Wölfe übereinander herfallen, sein Verständnis von Wissenschaft sei naiv- mechanistisch, der von ihm angeblich propagierte Egoismus führe zu einer brutal-rücksichtslosen Gesellschaft. Natürlich kann ich hier diese ganzen Missverständnisse nicht zurechtrücken - aber es sollte möglich sein, ein paar Denkanstöße zu vermitteln.
Hobbes war entschiedener Gegner der (christlichen) Scholastik und deren aristotelisch geprägter Wissenschaft, überzeugter Verfechter der modernen Naturwissenschaften, wie sie im 17.Jahrhundert zu reifen begannen. Oft wird ihm vorgeworfen, er habe eine plumpe, von jeder Empirie losgelöste mechanistische Konzeption vertreten. Letzteres stimmt - aber nur auf den ersten, sehr oberflächlichen Blick.
Natürlich sind aus heutiger Sicht viele seiner Ausführungen und Erklärungsversuche als unzutreffend erkannt und auch Hobbes dürfte gewusst haben, dass er oft reine Spekulation und keine gesicherte theoretische Erkenntnis anbietet. Aber es ging ihm, z.B. in seinem Hauptwerk Leviathan (1651), nicht in erster Linie um präzise einzelne Erklärungen oder Theorien.
Sein Ziel war ein anderes: Er wollte das neue Forschungsprogramm der wissenschaftlichen Revolution in seinen metaphysischen Grundzügen darstellen. Er wollte plausibel machen, dass alle Phänomene - eben auch mentale Ereignisse wie Gedanken und Sinneswahrnehmungen - einer lückenlosen „mechanischen“ Kausalerklärung zugänglich sind. Diese Konzeption einer Welt ohne Kausalitätslücken war Mitte des 17. Jahrhunderts alles andere als selbstverständlich oder intuitiv akzeptabel.
Kurz: Hobbes hatte den Mut, die Grundarchitektur und das Forschungsprogramm der modernen Naturwissenschaften in einem frühen Entwicklungsstadium mit allen offenen Fragestellungen, Wissenslücken, Perspektiven und theoretischen Möglichkeiten zu skizzieren. Zu seiner Zeit war das eine genuine Pionierleistung und brandgefährlich. Er stellte sich damit frontal gegen die christliche Religion, gegen ihr scholastisch und biblisch geprägtes Weltverständnis: Seine Werke wurden zensiert.
Für Hobbes ist Religion eines der dominanten individuellen, moralischen und politischen Grundübel. Kein anderes Phänomen steht einem glücklichen Leben so sehr im Wege, verhindert so konsequent ein vernünftiges moralisches Miteinander und blockiert so stark die Einrichtung eines gerechten und stabilen Staatswesens.
Dass die neuen Naturwissenschaften ohne einen Gott auskommen können, zeigt er wie oben skizziert in seinem Forschungsprogramm der wissenschaftlichen Revolution. Was bis heute oft nicht verstanden wird ist, dass Hobbes das auch für den Bereich von Moral und Gerechtigkeit gezeigt hat: Sogar in einer Form, die bis heute zu den überzeugendsten Begründungsansätzen von Moral und Gerechtigkeit gehört.
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Seine Grundidee, ausgedrückt im Bild des Gesellschaftsvertrages: Moral und Gerechtigkeit bzw. Staat sind Einrichtungen, die sich an den Interessen und Anliegen eines jeden Bürgers zu orientieren haben. Es sind im besten und anzustrebenden Fall rationale Konstrukte, die jeden von uns vor signifikantem Schaden durch seine Mitmenschen schützen sollen. Dadurch werden Energie und Ressourcen frei, die wir nutzen können (und sollen), um unser Leben nach den eigenen individuellen Vorstellungen zu gestalten.
Und in Hinsicht darauf war Hobbes Optimist, er war fest davon überzeugt, dass wir unser Vernunftpotential entfalten und uns von der leider oft gegebenen Herrschaft von Leidenschaft und (religiösem) Fanatismus lösen können. Moral und Gerechtigkeit fallen nicht vom Himmel - sie sind Menschenwerk - und das kann gelingen!
Im dritten und vierten Teil seines Hauptwerkes Leviathan möchte Hobbes zeigen, dass die christliche Religion mit seinem Ansatz zu Moral und Gerechtigkeit kompatibel ist. Er wusste also genau, wer sein Hauptfeind ist: Seine Werke wurden zensiert.
Nach Hobbes sind die Normen von Moral und Gerechtigkeit empirisch fundierte Klugheitsgebote der folgenden Form: Wenn Du vernünftig bist, also Schaden für Dich und die Menschen vermeiden möchtest, die Dir lieb und teuer sind, dann solltest Du unter den gegebenen Rahmenbedingungen (z.B. Knappheit materieller Güter, Wissen um einen gewissen Anteil irrational handelnder Mitmenschen etc.) die folgenden Regeln beachten:...
Also: Es geht um die Interessen einer jeden von diesen Regeln betroffenen Person, nicht nur um die eines Herrschers, einer Adelsschicht, einer Religionsgemeinschaft oder Priesterkaste, einer Volksgemeinschaft, Rasse oder Nation. Moral und Gerechtigkeit sollen jeder Person einen handfesten Nutzen bieten: In Hobbes’ konkretem Fall geht es dabei in erster Linie um Sicherheit von Leib und Leben.
Unabhängig von den genauen Inhalten markiert dies eine weitere intellektuelle Großtat Hobbes’: In dieser Form sind die Regeln von Moral und Gerechtigkeit in das sich abzeichnende Weltbild der modernen Naturwissenschaften integrierbar! Es handelt sich nicht um eingeborene Ideen einer gottgegebenen Vernunft, um Vorgaben einer heiligen Schrift, um vermeintlich objektive Einsichten in ein jenseits aller Naturgesetze existierendes Reich platonischer Ideen, um göttliche Offenbarungen, sondern um handfeste, im Prinzip empirisch prüfbare Maximen der strategischen Vernunft!
Mit dieser Herangehensweise hat Hobbes es nicht nur geschafft, die Sphäre des Normativen in das wissenschaftliche Weltbild zu integrieren, sondern auch enorm fruchtbare Impulse für die Entwicklung einer leistungsstarken Rationalitäts- und Entscheidungstheorie gegeben. Zum Abschluss noch ein Denkanstoß zu der recht verbreiteten These, Hobbes habe einen konsequenten und menschenverachtenden Absolutismus vertreten: Vor seinem Erfahrungshintergrund - Dreißigjähriger Krieg auf dem Kontinent und Bürgerkrieg in England - war für ihn natürlich die These naheliegend, dass ein starker und einheitlich entscheidender Souverän am besten geeignet sei, den oben skizzierten Klugheitsgeboten im gewalttätigen Wirrwarr der Religionen und irrationalen Leidenschaften Geltung zu verschaffen.
Denkt man näher über seine Argumente nach, wird man allerdings schnell erkennen, dass unter anderen empirischen Gegebenheiten auch andere Staatsformen gut funktionieren können: Letztlich kommt es Hobbes darauf an, dass für keine wichtige politische Frage ein stabilitätsgefährdendes Entscheidungsvakuum entstehen darf. Konkret: Auch ein Staat, der sich z.B. an der klassischen Gewaltenteilung in Exekutive, Legislative und Judikative orientiert, kann unter gewissen Rahmenbedingungen funktionieren. Hobbes würde allerdings konsequent darauf bestehen, dass auch bei Gewaltenteilung für jede Situation genau und unmissverständlich festgelegt wird, wer jeweils die Entscheidung trifft. Und das ist auch aus heutiger Sicht schlicht und einfach vernünftig: Seine Werke wurden zensiert.
Dr. Andreas Edmüller, Juli 2024
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